Unermüdlicher Forscher: Max Zurbuchen in der Steinzeitwerkstatt in Boniswil.
Bericht AZ© Alex Spichale (Aargauerzeitung)
Der 75-jährige Prähistoriker über seine Ausbildung, die schönsten Momente im Berufsleben und seinen grössten Geburtstagswunsch.
Die nächste Woche wird streng. Nacheinander kommen sieben Schulklassen zu Max Zurbuchen in die Steinzeitwerkstatt nach Boniswil. Er wird ihnen vorführen, wie die Pfahlbauer
Feuer gemacht haben, ihnen vom Leben in der Steinzeit erzählen, ihnen die Werkzeuge zeigen, die er nachgebaut hat; und sie werden unter seiner Regie auch mit den Gerätschaften
und Materialien arbeiten. Max Zurbuchen leitet die Steinzeitwerkstatt seit über 40 Jahren. Längst ist der 75-jährige Archäologe eine Institution und sein Name weit über den
Kanton hinaus ein Begriff, wenn es um experimentelle Archäologie geht.
Tausenden von Aargauer Schulkindern hat Zurbuchen die Pfahlbauer näher gebracht; die Werkstattbesuche bei ihm hinterlassen in der Regel bleibende Erinnerungen. Auch mit 75
Jahren denkt Zurbuchen keinen Moment ans Aufhören. Seine Begeisterung ist ungebrochen. «Ich zeige und vermittle gern und mag Kinder.» Die schönsten Momente sind, wenn er
plötzlich erkennt, dass das, was er erzählt und zeigt, Interesse weckt. «Solange der Kopf mitmacht und die Beine mich tragen, mache ich weiter», sagt er in breitem
Berndeutsch, «denn über die Steinzeit wird immer noch viel Unsinn erzählt.»
Vermittler und Forscher
Max Zurbuchen ist aber nicht nur Vermittler. Er ist vor allem Forscher. Vieles, was er in seiner Werkstatt zeigt, hat er selber entdeckt, gefunden oder hergestellt. Wenn er mit traumwandlerischer
Fingerfertigkeit vorführt, wie die Pfahlbauer damals Feuer entfacht haben, ahnt der Laie nicht, dass Zurbuchen sieben Jahre geforscht hat, bis er der Sache endlich bei Ausgrabungen nach und nach
auf die Spur kam. «Ich bin einer der wenigen, die das archäologisch genau hinkriegen», sagt er – und man hört, dass er doch ein bisschen stolz auf diese Fähigkeit ist.
Als damals in der Sekundarschule der Lehrer die Klasse zu den prähistori-schen Grabhügeln bei Mellingen führte, wusste der junge Max auf einen Schlag, was er werden wollte: Ein Archäologe der
Urgeschichte, aber keiner, der im Büro sitzt, sondern einer, der forscht. Dieser Leidenschaft hat er sein Leben lang alles unterordnet. «Das ist in mir drin, ich kann gar nicht anders», sagt
Zurbuchen. «Ich muss wissen, wie die das damals gemacht haben.»
Der Nationalstrassenarchäologe
Nach dem Studium der Ur- und Frühgeschichte erhielt Zurbuchen «völlig überraschend», den Posten als Nationalstrassenarchäologe. Er war beim Bau der damaligen N1 zuständig für den Abschnitt
Bern–Aargau–Solothurn. «Das war ein Traumjob», sagt Zurbuchen, «ich ging hinter dem Bagger her und suchte den Boden ab. Da kam viel zum Vorschein, aus der Steinzeit, der Römerzeit, dem
Mittelalter.» Danach wurde Zurbuchen zwar immer wieder für Grabungen und andere Projekte engagiert. Der eigenwillige Forscher fand aber keine feste Anstellung. Er bemühte sich auch nicht
speziell. Denn nun konnte er unabhängig und nach eigenen Vorgaben arbeiten. Für diese Freiheit nahm er auch in Kauf, dass er finanziell mehr schlecht als recht über die Runden kam. Auch die
Familie brach auseinander, seine Frau liess sich nach neun Jahren Ehe scheiden. «Ich war selten zu Hause, meine Leidenschaft für die Steinzeit war wichtiger und drängte das Familienleben in den
Hinter-grund.»
Experimentelle Archäologie
Die Werkstoffe der Steinzeit interessieren ihn. Er beginnt Geräte nachzu-bauen. «Am Anfang wurde ich mit meiner experimentellen Archäologie belächelt», erinnert sich Max Zurbuchen. Mit der Zeit
aber habe seine Arbeit auch bei den Fachleuten Anerkennung gefunden. Den Durchbruch schafft Zurbuchen, als er 1990 bei der Ausstellung «Pfahlbauland» in Zürich als Experte beigezogen wird.
Andere Meinungen könne er sehr gut akzeptieren, versichert Zurbuchen. Auch Kritik an seiner Arbeit. «Aber nur, wenn die Leute etwas von der Sache verstehen», relativiert er.
Dabei bei «Steinzeit live»
1972 übernimmt Zurbuchen ehrenamtlich die Leitung der von Reinhold Bosch gegründeten Steinzeitwerkstatt in Seengen. Damit beginnt seine Tätigkeit als Vermittler. 1985 eröffnet das Museum
Burghalde in Lenzburg die Urgeschichtswerkstatt, die Zurbuchen ebenfalls konzipiert und eingerichtet hat. 1989 wird in Seengen am Hallwilersee ein Pfahlbauerhaus nach seinen Vorgaben
rekonstruiert. Zurbuchen ist als Experte bei zahlreichen Grabungen im In- und Ausland gefragt, 2007 ist er beim Projekt «Steinzeit live» des Schweizer Fernsehens für den authentischen Nachbau der
Pfahlbauten zuständig. 2012 zieht er sich aus dem Museum Burghalde zurück. «Nicht im Streit», wie er betont, «es gab einfach unterschiedliche Vorstellungen.»
Weil die Räume in Seengen zu klein geworden sind, zügelt er seine Werkstatt nach Boniswil. Der neue Förderverein unterstützt ihn. Pitsch Schmid
ist Präsident des Fördervereins und hat Zurbuchen bei vielen Grabungen begleitet. «Zurbuchen hat einen 7. Sinn», sagt Schmid. «Er erkennt, wo man graben muss, mit seiner Erfahrung und
verblüffender Intuition macht er immer wieder erstaunliche Funde.» Und so wertvoll seine Beharrlichkeit beim Forschen sei, so komme sie ihm halt im Alltag ab und zu in die Quere.
Das Bergwerk auf der Lägern
Woher kommt diese bedingungslose Leidenschaft für die Steinzeit? Zurbuchen zögert, dann sagt er: «Das tönt vielleicht etwas seltsam. Aber ich bin überzeugt, ich habe früher einmal in der
Steinzeit gelebt.» Diese Ver-bundenheit sei einfach da, da könne und wolle er gar nichts dagegen machen.
Kantonsarchäologe Georg Matter bezeichnet Max Zurbuchen als Pionier der experimentellen Archäologie. Die Vermittlungsarbeit, die Zurbuchen in den letzten Jahrzehnten geleistet habe, sei
einzigartig. «Auch als Scout leistet er der Kantonsarchäologie immer wieder gute Dienste», sagt Matter, macht doch Zurbuchen häufig neue archäologische Beobachtungen, die sich in der Regel als
relevant erweisen.
Wo würde er graben, wenn zum 75. Geburtstag als Geschenk eine Wunsch-grabung erhielte? Zurbuchen muss nicht lange überlegen: auf der Lägern. Da befindet sich auf 700 Meter Höhe ein Silex-Bergwerk
aus der Steinzeit. Zurbuchen hat es schon vor vielen Jahren entdeckt. Aber bisher fehlte das Geld für eine gründliche Grabung.
2018 konnte Max Zurbuchen sein 45-Jahr-Jubiläum in der Steinzeitwerkstatt feiern.
«Das sieht ja steinzeitmässig aus.» Diesen Spruch bekommt man heute oft zu hören. Meistens im Zusammenhang mit Gegenständen, Kleidern etc., die nicht mehr im Trend sind.
Eigentlich falsch, denn die Steinzeit ist auch heute noch sehr wohl im Trend. Einer, der es wissen muss, ist der Boniswiler Prähistoriker und Archäologe Max Zurbuchen, Verantwortlicher für die
Steinzeitwerkstatt in 5706 Boniswil und für das Pfahlbauhaus in Seengen am Nordende des Hallwilersees.
Nicht nur Schulkassen, vermehrt auch Gruppen von Erwachsenen führt er während des Jahres durch die Steinzeitwerkstatt in Boniswil, wo er anhand von exakten Nachbildungen originaler Geräte die
Technik der Steinzeit, den Herstellungsprozess bestimmter Werkzeuge und deren Verwendungszweck erklärt. Dabei macht er immer wieder die Beobachtungen, dass die heutige Jugend trotz aller
multimedialer Übersättigung Interesse für die Urgeschichte und besonders für das Handwerk aus der Steinzeit zeigt. Die Live-Erlebnisse in der Steinzeitwerkstätte verstärken dies zusätzlich. «Die
Schüler dürfen hier selber Hand anlegen und lassen sich so begeistern. Obwohl die Kinder heute viel hektischer und ungeduldiger geworden sind», sagt Max Zurbuchen. Aber gerade das
urgeschichtliche Werken braucht viel Ausdauer und Geduld. Gut, dass Zurbuchen bei seinen Führungen nicht nur als Experte und Kenner für Steinzeitwerkzeuge, sondern auch als exzellenter Motivator
in Erscheinung tritt.
Förderer Dr. Reinhold Bosch
Auch er liess sich damals – als noch niemand von Computer, Game Boy & Co. sprach – für die Urgeschichte begeistern. «Das war in der Mittelschule», wie er sich erinnert. Sein Lehrer weckte
damals sein Interesse, indem er der Klasse das Geschichtsbild mit spannenden Erklärungen vermittelte. Definitiv in die Archäologie reingeschlittert ist Max Zurbuchen dank Dr. Reinhold Bosch.
Bosch war Bezirkslehrer in Seengen und ab 1947 vollamtlicher Kantonsarchäologe. «Er war so etwas wie mein Ziehvater und hat mich zu Ausgrabungen bei Kirchen, Gräbern etc. mitgenommen. Auch hat er
mich später an der Uni gefördert», sagt Zurbuchen. Dr. Reinhold Bosch war 1922 zudem Gründer der Historischen Vereinigung Seengen, aus welcher später die Historische Vereinigung Seetal
hervorging. Er war es auch, der Max Zurbuchen als seinen Nachfolger der Steinzeitwerkstätte vorschlug. «1972 habe ich die Steinzeitwerkstätte als junger Prähistoriker ehrenamtlich und
nebenamtlich von der heute noch bestehenden Historischen Vereinigung Seetal übernommen», erzählt Max Zurbuchen. Schon während seiner Studienzeit hatte er sich für die damals noch in den
Kinderschuhen steckende experimentelle Archäologie interessiert. 20 Jahre zogen ins Land, bis der Funke auf die ihn anfangs belächelnde Fachwelt übersprang. «Die experimentelle Archäologie hat
seit der Pfahlbauland-Ausstellung, welche 1990 in Zürich stattgefunden hatte, einen gewaltigen Aufschwung erlebt», stellt Zurbuchen fest.
Der "Boniswiler Ötzi"
Dass das Interesse der Öffentlichkeit an der Vergangenheit nach wie vor vorhanden ist, zeigt auch der Jahrhundertfund Ötzi. Der vor über 5000 Jahren verunglückte und im Eis konservierte Mann war
eine Sensation für die Archäologie. Der Mann aus dem Eis rief Forscher aus der ganzen Welt auf den Plan. Zu ihnen gehört auch Max Zurbuchen als einer der wenigen Experimental-Archäologen Europas.
Zurbuchen stand dabei in Kontakt mit dem Südtiroler Landesmuseum, welches heute das Ötzi-Museum beherbergt. Er baute die Ötzi-Axt bis ins kleinste Detail als Replika nach. «Ötzi musste eine für
damalige Verhältnisse absolute Hightech-Ausrüstung bei sich gehabt haben», erklärt Max Zurbuchen. Er fand nämlich heraus, dass die Klinge der Axt zwar aus Kupfer war, die Schneide aber durch eine
spezielle Kaltschmiedetechnik so gehärtet wurde, dass sie sehr widerstandsfähig war. Heute kann die Replika der Ötzi-Axt auch in der Steinzeitwerkstätte in Boniswil bewundert werden. Zurbuchen
wird nicht zuletzt auch deswegen ab und zu «der Ötzi von Boniswil» genannt. Zurbuchen ist aber nicht nur in der Steinzeitwerkstätte ein gefragter Mann. Auch im Trentino am Gardasee wurde er schon
zu Kongressen eingeladen. Dies nachdem er dort die Aufschlüsse von Feuerstein erforscht hatte und über dieses Projekt diverse Arbeiten verfasst hatte. Aber auch in unserem Land ist sein
umfangreiches Wissen gefragt. Zum Beispiel bei Ausgrabungen in Künten, wo zwei prähistorische Siedlungen entdeckt wurden. Erwartet wurden Funde aus der Zeit des Antiken Roms. Zum Vorschein kamen
aber Objekte aus der Steinzeit. Unter anderem ein Werkplatz, wo Steinbeileklingen hergestellt wurden. Anlässlich eines Tages der offenen Grabung zeigte Max Zurbuchen den interessierten Besuchern
wie in der Steinzeit Werkzeuge hergestellt wurden.
Projekt für das Schweizer Fernsehen
Ein Meilenstein für Max Zurbuchen war auch das Projekt «Steinzeit Live» des Schweizer Fernsehens, das vom 25. Juli bis 21. August 2007 aus der Pfahlbausiedlung im thurgauischen Pfyn in die
Schweizer Stuben flimmerte. Im Vorfeld wurden im Naturschutzgebiet zwei vom Bund bewilligte Pfahlbauhäuser und ein Stall gebaut. Und zwar so, wie zu Pfahlbauerzeiten. Für den Bau der
Pfahlbauhäuser suchte das Schweizer Fernsehen, vertreten durch Redaktionsleiter Thomas Schäppi, einen archäologischen Fachmann. «Er rief mich an, nachdem der Thurgauer Kantonsarchäologe den
Verantwortlichen sagte, dass ich der richtige Mann für dieses Projekt sei», so Zurbuchen. Mit Forstleuten realisierte er das Projekt innerhalb nur eines Monats. «Für mich war dieser Einsatz eine
sehr schöne Erfahrung und nicht zuletzt auch die günstigste Reklame für mich und mein Schaffen.
Seengens Pfahlbauerhaus: Zurbuchens Idee
Ebenfalls zu einem seiner Meilensteine zählt Max Zurbuchen den 1989 realisierten Nachbau eines Pfahlbauhauses aus der Jungsteinzeit am Nordende des Hallwilersees in Seengen. Es gehörte zu den
ersten nach archäologischen Funden rekonstruierten Pfahlbauhäuser der Schweiz und Zurbuchen war Initiant dieser ausgefallenen Idee. Spender war der Lenzburger Rotary-Club, dessen Mitglieder beim
zwei Jahre dauernden Bau grössenteils selber Hand anlegten. «Seengen hat kulturell etwas, das andere Gemeinden nicht haben.» Und damit meint der rüstige 70-Jährige nicht nur sein Pfahlbauhaus
oder die spätbronzezeitliche Pfahlbausiedlung in der Seenger Riesi, die neben weiteren Pfahlbauten rund um den Alpenbogen ins Unseco-Weltlulturerbe aufgenommen wurde, sondern auch die
Steinzeitwerkstätte. «Um die Ausstellung übersichtlicher zu gestalten, wäre eine grössere Lokalität nicht schlecht», so Zurbuchens Wunsch. Schliesslich möchte er hier noch viel bewegen. Dass er
noch nicht zum alten Eisen gehört, zeigen auch die Besuche von Studierenden von Universitäten in seiner Werkstatt.
Quelle: dorfheftli.ch / Seengen